Persönlichkeitsmodelle – Was sie können und was nicht
04. November 2019Haben Sie in der Team- oder Personalentwicklung oder auch in der Personalauswahl schon mal über den Einsatz eines Persönlichkeitsmodells nachgedacht? Und wenn ja, welches aus der Vielzahl der Angebote ist das passende für Ihre konkrete Frage? In diesem Artikel habe ich drei Tests herausgesucht, die ich hier gerne vorstellen und auf ihren Wert für Trainer, Berater und Personalentwickler hin verglichen werde. Warum es diese drei sind? Für mich sind es so etwas wie ‚die Klassiker‘, die mir in meinem beruflichen Alltag immer wieder begegnen.
PERSÖNLICHKEITSMODELLE IN DER PERSONALARBEIT
Bevor ich auf die drei Persönlichkeitsmodelle konkreter eingehe, möchte ich zunächst die Verwendung solcher Modelle in der Personalarbeit/-entwicklung thematisieren: Trotz unseres Bedürfnisses nach Berechenbarkeit und Planbarkeit lassen sich Persönlichkeiten von Menschen nicht mit dem besten Instrument der Welt erfassen. Alle Modelle bergen die Gefahr, Menschen in Schubladen zu stecken. Ob diese eine Farbe, eine Buchstabenkombination oder Ähnliches hat, macht dabei keinen Unterschied. Den Nutzen dieser Modelle sehe ich darin, einen ersten Zugang zu verschiedenen Persönlichkeiten zu bekommen umso Unterschiedlichkeiten zwischen Menschen zu verdeutlichen. Wirklich gute Teams, Abteilungen oder Unternehmen haben meiner Meinung nach den Wert der Unterschiedlichkeit nicht nur erkannt, sondern nutzen ihn für mehr Innovation und Leistung. Doch das gelingt nur, wenn wir uns der Unterschiedlichkeit von Menschen bewusst werden. Und bewusst werden bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, dass ich die Teammitglieder anhand unterschiedlicher Zahlen/Buchstaben/Farben in Kategorien einteilen kann, sondern dass ich eine erste Idee der jeweiligen Persönlichkeit bekomme, die ich in Gesprächen und dem gemeinsamen Handeln überprüfen und vertiefen kann.
DER MBTI
Der yers-Briggs Typenindikator gründet auf einer Theorie des Schweizer Arztes und Psychologen Carl Gustav Jung (1875 – 1961), mit der er das Verhalten von Menschen prognostizieren wollte. Seine Theorie basiert auf der Annahme, dass einige Menschen sich bei der Wahrnehmung der Welt eher auf ihre fünf Sinne verlassen, andere mehr auf ihre Intuition. Auch beim Treffen von Entscheidungen gibt es seiner Ansicht nach zwei bevorzugte Wege: Menschen, die logisch-analytisch entscheiden und andere, die sich dabei mehr auf ihre Gefühlen verlassen.
Auf der Jung’schen Theorie aufbauend entwickelten Katherine Briggs und ihre Tochter Isabel Myers-Briggs 1942 einen Fragebogen, in dem sie die Theorie um zwei Kategorien erweiterten: Die Einstellung gegenüber der Welt, die entweder extrovertiert oder introvertiert sein kann und die Art, wie Menschen wahrnehmen und urteilen.
DIE VIER UNTERSCHIEDLICHEN ACHSEN
Die vier Typen, die Jung in seiner Typentheorie darstellt, werden durch die beiden neuen Aspekte von Briggs und Myers-Briggs auf insgesamt 16 Typen erhöht. Eine Persönlichkeit wird dann mit einem Vier-Buchstaben-Code beschrieben, da ihr aus jeder Kategorie einer der beiden Buchstaben zugeschrieben wird. Die vier Buchstabenpaare sind:
Extraversion (E)———-(I) Introversion
Sinnliche Wahrnehmung (S)———-(N) Intuitive Wahrnehmung
Analytische Beurteilung (T)———-(F) Gefühlsmäßige Beurteilung
Beurteilung (Judgement) (J)———-(P) Wahrnehmung
Die vier zugeordneten Buchstaben stehen für die Präferenzen der Person. Die Buchstaben, die nicht im Code auftauchen, sind jedoch bei den meisten Menschen trotzdem vorhanden, nur nicht gleichermaßen ausgeprägt. Je deutlicher die Präferenz ist, desto weniger auffällig ist der Gegensatz. Die Zuordnung zu einer Seite der vier Kategorien kann sich im Laufe eines Lebens auch verändern.
DIE 16 UNTERSCHIEDLICHEN TYPEN
Die Präferenzen stehen im MBTI® gleichwertig nebeneinander. Mit der Zuordnung wird keinerlei Wertung vorgenommen, sie versucht nur, die Unterschiedlichkeit der Menschen abzubilden. Die Kombination der Buchstaben beschreibt die Dynamiken, die in einer Persönlichkeit vorhanden sind.
Für eine effektivere Arbeitsverteilung in Teams kann der MBTI® hilfreich sein. Kennt man erst einmal die unterschiedlichen Präferenzen der einzelnen Teammitglieder, lassen sich auf der inhaltlichen Ebene Aufgaben besser verteilen. Auf der persönlichen Ebene sind die Reaktionen der anderen besser zu verstehen, weil die Bedürfnisse dahinter bekannt sind.
DAS DISG MODELL
In den 60er Jahren entwickelte John G. Geier, Professor der Verhaltenspsychologie und Kommunikation, ein in den 1930er Jahren vom Psychologen William Martson entwickeltes System zur Einordnung von Personen weiter zum DISG® Modell[1].
Dieses Modell soll anhand von konkreten Situationsbeschreibungen der Erklärung menschlichen Verhaltens dienen. Dabei umfasst die horizontale Achse das gesamte Verhaltensspektrum von aufgaben- bis menschenorientiert, während die senkrechte Achse von Prozess- bzw. Zielorientierung beschreibt. Durch die Einteilung mit den beiden Achsen entstehen insgesamt vier Persönlichkeitstypen.
Abbildung 1[2]
Die vier Persönlichkeitstypen nach DISG sind:
- Dominant
- Initiativ
- Stetig
- Gewissenhaft
Natürlich existieren diese Typen äußerst selten in Reinform. Vielmehr hat jeder Mensch etwas von jedem dieser vier Persönlichkeitstypen, nur in unterschiedlicher Intensität. Bei den meisten Menschen sind zwei der vier Bereiche besonders stark ausgeprägt. Einer davon zeigt sich in positiven , der andere in eher stressigen Situationen[3].
Das DISG®–Persönlichkeitsprofil soll in erster Linie dazu dienen, dass Menschen sich selbst besser verstehen lernen. Die Einordnung des eigenen Verhaltens in das Modell kann in Mitarbeitergesprächen als Grundlage zur Entwicklung für zukünftige Arbeitsfelder hilfreich sein.
ENTSCHEIDEND IST DIE KOMBINATION
Jedem der vier Grundtypen des DISG®-Persönlichkeitsprofils werden Eigenschaften zugeordnet, die alleine stehend noch sehr allgemein wirken. Konkreter wird es, wenn man auf die Kombination der vier Grundtypen in ihrer jeweiligen Ausprägung schaut. Durch die Beantwortung des Fragebogens wird ein Profil erstellt, das zum einen den nach außen gezeigten Persönlichkeitstyp aufzeigt und zum anderen auch den weniger präsenten, inneren Teil der Persönlichkeit sichtbarer machen soll. Diese beiden können zwar übereinstimmen, tun dies aber nur selten[4]. Ein D Typ kann beispielsweise durch I, S oder G als zweite Komponente beeinflusst werden. Daraus würden sich dann entsprechende Spezialisierungen des Dominaten Typs ergeben. Und das gleiche gilt natürlich auch für die anderen drei Grundtypen.
DAS RIEMANN-THOMANN MODELL
Fritz Riemann, deutscher Psychoanalytiker, Psychologe und Psychotherapeut veröffentlichte in den 60er Jahre das Buch ‚Grundformen der Angst‘, in dem er sich mit den vier unterschiedlichen Angstformen und den daraus resultierenden Persönlichkeitsmerkmalen beschäftigte. Die Grundidee der vier Angsttypen griff der Schweizer Psychologe Christoph Thomann in den 1970er Jahren in seiner Arbeit in der Paartherapie auf. Um die von Riemann beschriebenen Typen zu entpathologisieren verwendete er andere, wertneutrale Begriffe. Das Ziel der Arbeit Thomanns war es, Menschen in ihren Beziehungen zueinander zu verdeutlichen, dass sie ‚okay‘, also nicht krank sind, nur unterschiedliche Bedürfnisse und Befürchtungen haben.
DIE ZWEI ACHSEN
Auch dieses Modell richtet sich entlang zweier Achsen aus, so dass am Ende dieser Achsen vier Grundausrichtungen entstehen, die fließend ineinander übergehen. Die eine Achse beschreibt die zwei unterschiedlichen Ausprägungen von Abgegrenztheit (Nähe und Distanz) und die andere Achse die von Berechenbarkeit (Wechsel und Dauer). Jedem der vier Pole werden unterschiedliche Ziele und Werte, aber auch Haltung und Bedürfnisse zugeordnet. Wie bei den beiden bereits vorgestellten Modellen stehen auch innerhalb des Riemann-Thomann-Kreuzes die vier Grundausrichtungen gleichberechtig nebeneinander, es gibt keine Wertung zwischen ihnen.
HEIMATFELD
Etwas anders als bei den beiden vorher vorgestellten Modellen gibt es im Riemann-Thomann-Kreuz keine klar definierten Typen, denen man sich als Person oder Gruppe (siehe nächster Abschnitt) zuordnen kann. Vielmehr bilden die individuellen Ausprägungen auf den beiden Achsen ein sogenanntes Heimatfeld, das bei den meisten Menschen Anteile jedes Poles beinhaltet, nur in unterschiedlicher Ausprägung.
Heimatfeld
Abbildung 2[5]
ANWENDBARKEIT
Das Riemann-Thomann-Modell kann sowohl auf Einzelpersonen als auch auf Gruppen angewendet werden. Während bei Einzelpersonen der Fokus auf den speziellen Stärken, Schwächen, aber auch Ängsten und Sehnsüchten liegt, dient das Modell bei der Anwendung auf Gruppen eher der Analyse der Gruppenkultur. In beiden Fällen kann man aus dem Schatten, der sich aus einer Spiegelung des Heimatfeldes ergibt, eine Entwicklungsrichtung herauslesen und diese als Basis für eine Entwicklung der Persönlichkeit oder auch eine möglicherweise hilfreiche Veränderung der Gruppenkultur nutzen.
Kurz gesagt bedeutet das, dass das Heimatfeld eine grundsätzliche, individuelle Orientierung über die eigenen Bedürfnisse, Verhaltensweise und ggf. sogar Persönlichkeitseigenschaften zulässt. Gleichsam kann das Heimatfeld nicht dazu dienen, feste Zuschreibungen vorzunehmen, im Sinne von: „Du bist so!“ oder „So bin ich!“. Dies wird vielleicht an folgendem Beispiel deutlich: Martin ist ein Mitarbeiter in einer Werbeagentur, der in seinem eigenen Team derjenige ist, der für Struktur und Zuverlässigkeit sorgt und damit die stärkste Dauer-Orientierung zeigt. Nach Feierabend im örtlichen Verein, in dem Strukturen und Rollen klarer vergeben sind, kann er sich als eine Person mit wenig Dauer-Orientierung erleben. Sein Heimatfeld bleibt das gleiche, aber die Bezugsgruppe hat sich geändert und damit gibt es andere Relationen seines Heimatfeldes. Dieses Erleben in Relationen ist ein wichtiger Aspekt bei der Arbeit mit dem Riemann-Thomann-Kreuz.
DIE DREI MODELL IM VERGLEICH
GEMEINSAMKEITEN
Alle drei Modelle sollen die menschliche Persönlichkeit erklärbarer machen, indem unterschiedliche Eigenschaftskategorien definiert werden, denen man sich zuordnen kann. Diese Einteilungen stehen bei allen drei Modellen gleichberechtigt nebeneinander, es gibt unter ihnen keine Wertung. Dies kann sich je nach Einsatz der Modelle natürlich ändern: Bin ich beispielsweise auf der Suche nach einem Mitarbeiter für die Ideenschmiede eines Start-Ups, wäre beim Riemann-Thomann-Modell eine Orientierung in Richtung Wechsel passender als jemand, der sein Heimatfeld weit in der Dauer hat.
Über die tatsächliche Aussagekraft aller drei Modelle gibt es sehr unterschiedliche Aussagen. Gemein ist ihnen, dass sie Spielräume bei der Auslegung der Ergebnisse zulassen und dass eine Interpretation dieser stark von dem Wissen des Anleitenden über das jeweilige Modell abhängt.
UNTERSCHIEDE
Ein erster Hauptunterschied liegt in der praktischen Durchführung. Sowohl für den MBTI® als auch für den DISG® muss eine einmalige Lizenz erworben werden(www.a-m-t.de und www.disgprofil.eu), um den Test durchführen zu dürfen. Weiterhin fallen Kosten pro Anwendung des Tests für die Auswertung an. Anders ist es beim Riemann-Thomann-Modell. Hier gibt es einerseits Literatur, andererseits Seminare, in denen man die Anwendung des Modells lernt, die allerdings nicht verpflichtend sind.
Der MBTI® ist das einzige der drei Modelle, für das es zwei Stufen der Analyse gibt: Erst muss die teilnehmende Person einen Fragebogen ausfüllen, aus dem sich die individuelle Präferenz für eine der vier Dimensionen ergibt. In einem zweiten Schritt wird diese herausgefundene Präferenz weiter differenziert, entweder wieder mit einem Fragebogen oder einem Interview. Der Persönlichkeitstyp, der im ersten Schritt herausgefunden wurde, wird hier mit weiteren Eigenschaften beschrieben, die Buchstabenkombination wird für den Anwender mit Leben gefüllt.
Sowohl der DISG® als auch das Riemann-Thomann-Modell sind, methodisch gesehen, nur einstufig. Da ich den Einsatz eines Persönlichkeitsmodelles, wie anfangs schon beschrieben, allerdings immer nur als ersten Schritt zur Erfassung von Persönlichkeiten nutzen würde, ist das aus meiner Sicht eher ein Vorteil. Denn ich muss den Menschen hinter den Kategorien kennenlernen, mit ihm in Kontakt kommen oder gar teilhaben an dessen Selbstreflexion, um tiefere Einblicke in seine Persönlichkeit zu bekommen. Die scheinbare Oberflächlichkeit des Riemann-Thomann-Modells wird der Komplexität der menschlichen Persönlichkeit an dieser Stelle gerechter als die anderen beiden Modell, da es nicht den Anschein erweckt, diese Komplexität erfassen zu können und eine größere Vielfalt in den individuellen Persönlichkeitsausprägungen zulässt.
Ein weiterer Unterschied zwischen den Modellen ist, dass sowohl der MBTI® als auch der DISG® immer eine Phase der Auswertung zwischen dem Test selbst und den Ergebnissen erfordern, während beim Einsatz des Riemann-Thomann-Modells direkt eine Selbsteinschätzung erfolgen kann, die in Feedback Prozessen mit Kollegen, Führungskräften und/oder Beratern überprüft werden kann.
FAZIT
Für mich und meine Arbeit (Team-, Führungskräfte und Persönlichkeitsentwicklung) hat sich das Riemann-Thomann-Modell als Favorit herauskristallisiert: Seine Anwendung ist einfach und direkt. Oftmals treten die ersten Effekte schon in der Reflexion mit dem Modell auf, weil die Teilnehmer sowohl eigene Bedürfnisse besser verstehen als auch die der anderen wohlwollender betrachten können. Für mich ist es ein großer Gewinn, dass ich das Modell auf die unterschiedlichsten Situationen beziehen kann, sehr individuell auf die Erfahrungen der Teilnehmer, während die anderen beiden Modelle auf standardisierten Fragebögen beruhen. Ich würde allerdings auch jedem Trainer/Berater/Coach empfehlen, das Modell nicht nach der Lektüre der Bücher direkt anzuwenden, sondern es vorher im Rahmen eines Seminars selbst erlebt zu haben.
LITERATUR
[1] Seiwert; Gay S. 15.
[2] http://www.sven-lehmann.de/aktuell/disg-typen-temperamentenlehre.html
[3] Seiwert; Gay S. 15.
[4] http://www.zeitzuleben.de/inhalte/pe/tests/disg.html
[5] https://riemann-thomann-modell.plakos.de/
Text: Susanne Hüls