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Teamkultur verbessern – Führen ohne Druck

02. Mai 2022

TEAMKULTUR VERBESSERN: VON ESELN LERNEN

Morgens gegen 8.30 Uhr begrüße ich zusammen mit einer Kollegin das Team einer Versicherung auf einem oberhessischen Bauernhof in der Nähe von Marburg. Es ist noch kühl, aber der Tag scheint sonnig zu werden. Nach Monaten des Homeoffice und digitaler Sitzungen geht es heute zu einem Teamtraining gemeinsam in die Natur. Endlich treffen sich die Mitarbeitenden wieder persönlich. Die Sehnsucht nach diesem Kontakt in Präsenz drückt sich bereits in der Herzlichkeit bei den Begrüßungen aus. Gleichzeitig sind alle aufgeregt, denn die kommenden zwei Tage werden außergewöhnlich.

TEAMKULTUR STARTET IMMER LANGSAM, WENN ES VORWÄRTS GEHEN SOLL

Meine Kollegin und ich nehmen das Team bei einem ersten Kaffee in Empfang. Begrüßung, Vorstellen und Kennenlernen erwecken noch den Eindruck eines üblichen Workshopsauftaktes. Neben uns Trainerinnen wird das Team jedoch an diesen Tagen von vier ungewöhnlichen Kolleginnen und Kollegen verstärkt. Sie schauen bereits zur Stalltür hinaus: Graues Fell, lange Ohren und freundliche iah-Laute begrüßen uns alle. Eine Wanderung zusammen mit Eseln ist für die nächsten zwei Tage geplant und deshalb gilt es als erstes, sich mit den tierischen Kolleginnen und Kollegen bekannt zu machen. Die vier heißen Pepper, Petty, Piet und Pepe und sie stellen sich sehr schnell als deutlich unterscheidbare Persönlichkeiten heraus.  

Meine Kollegin ist Eselexpertin und gibt einige wenige Hinweise für die erste direkte Begegnung mit den Eseln. Das Team betritt die Eselkoppel, ohne dass schon zu viele Informationen die direkten Erfahrungen überlagern. Die erste Aufgabe für das Team ist es, auf der Koppel darauf zu achten, wie jede Person persönlich den Kontakt mit den Eseln gestaltet. Welche Impulse, Gedanken und Gefühle kann jede:r bei sich selber beobachten? Wie gehen meine Kolleginnen und Kollegen in Kontakt? Was beobachte ich bei den Eseln? Gibt es wohl ein Leittier? Welcher Esel ist mir sympathisch und warum? Welcher Esel geht auf welchen Menschen zu und wie macht er das? Im Grunde geht es also darum, sich mit allen Sinnen auf ein unbekanntes Gegenüber einzustellen.

GUTE TEAMKULTUR ERMÖGLICHT NEUE PERSPEKTIVEN AUF SICH UND DIE WELT

Nach circa 30 Minuten trifft sich das Team zu einer ersten Reflexion und einem Austausch über die Beobachtungen. Das eigene Verhalten und das Verhalten des Teams konnten aus einer neuen Perspektive betrachtet werden.  

Das Team erfährt von den Trainerinnen einige Details über die Eselgruppe, jeden einzelnen Esel und grundsätzliche Infos.  Es überrascht z. B., dass Esel hierarchielos leben. Sie kommen freiwillig zu einer Gemeinschaft zusammen, weil sie gerne mit anderen zusammen sind. Es gibt aber kein klassisches Leittier. Esel legen Wert auf eigene Entscheidungen.

Erstaunen löst auch die Information aus, dass Esel nicht störrisch sind. Sie sind gute Beobachter:innen. Sie laufen bei Gefahr nicht fluchtartig weg, sondern bleiben stehen, betrachten die Situation und denken nach. Eine Eigenschaft, die uns als Vorbild dienen könnte. Für das Team bedeutet dieses Wissen, die Esel empathisch zu führen, um rechtzeitig mit den Augen der Tiere zu sehen, um Gefahren vorweg zu nehmen und sich so als vertrauenswürdige Führungskraft zu erweisen. Esel folgen nur freiwillig. Sie akzeptieren eine gute Führung, aber reagieren nicht auf Druck.

TEAMKULTUR HEISST, JEDEN TAG NEU AUFZUBRECHEN

Nach dieser ersten Begegnung und dem Austausch werden die Esel auf den Hof geführt und mit Packtaschen versehen. Das Beladen der Esel mit Gepäckstücken, die für die zweitägige Expedition nötig sind, ist eine weitere Team-Aufgabe. Was soll mitgenommen werden? Wie wird es verpackt? Wie viel kann den Eseln zugemutet werden? Was sollen die Menschen selber tragen? Diese Aufgabe beschäftigt das Team die nächsten 2 Stunden und dann geht es nach einem kleinen Snack endlich los. Das Ziel des ersten Tages ist eine 10 km lange Etappe mit aktiven Pausen.  

Nach circa 3 km gibt es die erste Rast an einer wunderbaren Aussichtsstelle. Im Kreis sitzend ist nun Zeit und Raum für eine sogenannte Befindlichkeitsrunde. Wie ist es allen wirklich in den letzten Monaten ergangen? Was beschäftigt jede:n? Gibt es etwas, was in den Tagen besprochen werden soll? Es entsteht ein intensiver Austausch und alle hören konzentriert und einfühlsam zu, einschließlich der Esel. Diese umrunden die Menschen, bleiben im Sitzkreis stehen und lauschen, grasen oder machen faxen. Das soll nicht die letzte Situation sein, in der deutlich wird, welchen Einfluss die tierischen Begleiter auf die Atmosphäre des Teams haben. Die Ruhe der Tiere, ihre Aufmerksamkeit und ihr Selbstbewusstsein wirken entspannend, erzeugen Gelassenheit und Freude ohne abzulenken oder der Konzentriertheit zu schaden.  

TEAMKULTUR LÄSST RAUM FÜR EMPATHISCHEN AUSTAUSCH

Nach circa 1 Stunde geht es weiter. Einige Themen sind identifiziert, die in den nächsten Stunden besprochen werden sollen. Und für alle gibt es zahlreiche Anlässe, in Kleingruppen- oder Zweiergesprächen auf andere zuzugehen, um nochmal genauer nachzufragen, was in der Runde nur angedeutet werden konnte.

Beim Wandern bewegen sich in der Regel 4-5 Teammitglieder um einen Esel herum. Eine:r aus der Gruppe hat den Führstrick in der Hand. Die Auseinandersetzung mit dem Führen lässt Rückschlüsse auf den eigenen Umgang mit anderen Mitarbeitenden zu. Der Umgang mit dem Esel ermöglicht mit Achtsamkeit und mit eindeutigen Signalen, sich selbst und den anderen gegenüber klarer zu kommunizieren. Diese Haltung reduziert beim Wandern den Stress für die „Führungskraft“ und den Esel. Die führenden Personen können ausprobieren, wie kooperativ sie mit dem Esel agieren, wie viel Sicherheit sie auch in brenzligen Situationen vermitteln, wie sie motivieren.

EINE STIMMIGE TEAMKULTUR ERMÖGLICHT DAS ZUSAMMENSPIEL UNTERSCHIEDLICHER PERSÖNLICHKEITEN

Immer wieder wechseln die Personen, die die Esel führen. Immer wieder bilden sich neue Gruppen rund um einen Esel, in der die Teammitglieder ins Gespräch kommen. Es ist angenehm, eine Resonanz zwischen dem Rhythmus der Tiere und dem Rhythmus der Menschen zu bemerken. Es entwickelt sich ein Tempo, bei dem sich alle wohl fühlen. Schnell wird klar, in welcher Reihenfolge die Esel laufen möchten. Der stürmische, witzige, pubertierende und halbstarke Pepper führt die Gruppe an. Die ältere Eseldame Petty bildet den gemütlichen, aber zuverlässigen Abschluss. Der schwer berechenbare Pepe versucht immer mal wieder die Führungsposition zu ergattern und der friedliche Piet trottet gemächlich und träumend an Platz drei und lässt sich gerne kraulen. Je nach Typ sortieren sich auch langsam die Menschen den Eseln zu.  

Immer wieder gibt es Gespräche darüber was beobachtet werden kann, welche Eigenschaften mit welchem Eselcharakter assoziiert werden, mit wem man selber gut zusammenpasst und welches Verhalten einzelne herausfordert. Diese Gespräche bieten Anlässe für entspannte Mini-Feedbacks und Selbstreflexionen.

Bis zum Eintreffen am Zielort des ersten Tages gibt es weitere kurze Rasten mit kleinen Inputs zu Eseln, Achtsamkeitsübungen und Gespräche, über die am Mittag in der ersten Runde genannten Themen. So bekommt das Team z.B. für die letzte Etappe die Aufgabe, sich in bewusst gewählten Gruppen zusammen zu tun und über das Thema „Zusammenarbeit in der Homeoffice Zeit“ in den Austausch zu kommen. Die Ergebnisse dieser Kleingruppengespräche sollen am Abend beim Lagerfeuer mit allen geteilt werden.

TEAMKULTUR BRAUCHT EMOTIONEN

Gegen 17:00 Uhr trifft die Gruppe an einem Bauernhof ein. Natürlich geht es nicht in irgendwelche Schlafzimmer, sondern wir bleiben auf der Wiese hinter dem Haus. Die sanitären Einrichtungen können genutzt werden und auch Wasser bekommen wir vom Haus.  

Nun gilt es, sich zu organisieren, um eine angenehme Situation zum abendlichen Austausch, zum Essen und für das Nachtlager aufzubauen.

Das Team teilt sich auf. Zu aller erst werden die Esel versorgt. Das Gepäck wird abgeladen. Aus Latten wird für sie ein provisorisches Quartier errichtet. Futter und Wasser werden bereitgestellt. Auch das Auskratzten der Hufe stellt keine große Hürde für einzelne mehr dar. Unsere tierischen Kolleginnen und Kollegen scheinen sich schnell wohlzufühlen und bewegen sich in ihrem behelfsmäßigen Stall, wie zu Hause.  

Manch fangen an, für das Abendessen am offenen Feuer Vorbereitungen zu treffen. Andere bauen Zelte auf und richten sie ein. Gegen 20.00 Uhr ist alles erledigt. Das Team sitzt zufrieden auf Baumstämmen rund um das Lagerfeuer und genießt den Gemüseeintopf mit kräftigem Brot dazu.  

Bevor der Tag reflektiert wird, geht doch der eine oder die andere zu den Eseln, um zu schauen, ob es ihnen gut geht. Die gemeinsame Zeit hat bereits eine intensive Verbindung zu den Tieren geschaffen und gleichzeitig hat sich das Miteinander der Menschen persönlicher und freudvoller entwickelt.

Bei der Abendreflexion findet der Austausch über die „Kleingruppenthemen“ statt. Aufmerksames Zuhören und Nachfragen kennzeichnen diese verbindende Situation. Mittlerweile ist es dunkel geworden. Das Lagerfeuer erleuchtet den Kreis des Teams und bildet so einen Raum der Sicherheit und Zusammengehörigkeit.

TEAMKULTUR IST EIN PROZESS

In aller Frühe geht es am nächsten Morgen wieder zurück. Nach einem gemeinsamen Frühstück werden die Materialien verstaut, das Esellager wird zurück gebaut und alle Reste beseitigt. Die Esel werden wieder beladen und die Menschen schultern ihre Rucksäcke. Beide Gruppen sind zu einem gemeinsamen Team geworden. Die nötigen Handgriffe sind selbstverständlicher, die Beziehungen zu den Eseln haben sich vertieft. Nicht nur dadurch, dass die Esel einen Teil der Lasten tragen sind sie Team–Mitglied geworden, sondern auch durch ihre Persönlichkeit. Es tut gut, nebenbei die weichen Eselsohren zu kraulen, das Fell zu streicheln oder den Eselshals zu umarmen. Gespräche in kleinen Gruppen in der Anwesenheit der Esel entfalten eine besondere Atmosphäre. Auch wenn die Esel sich nicht äußern, entsteht doch der Eindruck, dass sie zu hören und verständnisvoll nicken. Ihre Anwesenheit und Präsenz wirkt sich beruhigend auf die Teilnehmenden aus und ermöglicht in vielen Fällen eine vertiefte Selbstkundgabe und intensive Gespräche. Der 8 km lange Rückweg ist viel zu kurz. Am Ende steht der Abschied von den Eseln. Alle Teammitglieder empfinden tatsächlich so etwas wie Trauer. Auch den Eseln scheint es nicht ganz leicht zu fallen. Als wir den Hof verlassen, stehen sie alle an ihrem Gatter und rufen uns ein „iah“ hinterher. Man könnte meinen, sie sagen: „Wir wollen mit.“

TEAMKULTUR LEBT VON REFLEXIONEN

Zahlreiche Erfahrungen, die das Team in den zwei Tagen gemacht hat und insbesondere die in Erinnerung bleibenden emotionalen Bilder, sind Eselsbrücken in den Alltag. Themen, die für Teams oder Führungskräfte in der Zusammenarbeit mit Eseln erfahrbar werden, sind u.a.:

  • Achtsamkeit und Schärfung der Wahrnehmung 
  • Perspektivwechsel und Verstehen des Anderen 
  • Umgang mit Widerstand und Motivation 
  • Klarheit in der Kommunikation 
  • Genießen mit allen Sinnen 
  • Direktes Feedback auf eigenes Verhalten 
  • Erleben eines veränderten Teamklimas 
  • Alternativen zum Umgang mit Druck und Stress 

Können Sie sich einen Entwicklungsschub für sich oder für ihr Team durch ein Coaching oder ein Teamtraining, bei dem Sie mit Eseln in Kontakt kommen, vorstellen?  

 

Text: Monika Eckern