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Empathie macht erfolgreich

06. März 2023

WARUM EMPATHIE GERADE JETZT SO WICHTIG IST!

Laut BKK Gesundheitsreport aus dem Jahr 2020 geht jeder sechste Fehltag auf psychische Probleme zurück. Tendenz steigend. Ein Drittel aller Arbeitnehmenden fühlen sich in den letzten zwei Jahren laut dem Randstad-Arbeitsbarometer mental nicht ausreichend unterstützt. Vor diesem aktuellen Hintergrund ist Empathie kein nice-to–have mehr, sondern wird zu einem must-have. Empathie ist aus zwei Perspektiven ein wesentlicher Bestandteil von Führungskompetenz. Eine Blickrichtung zielt auf die Selbstempathie und die daraus resultierende Selbststeuerung ab. Der andere Blick fokussiert die Beweggründe und Motive von Mitarbeitenden. Diese lassen sich nur durch empathische Verhaltensbeobachtung erschließen, da sie nicht direkt zu beobachten sind.  

WAS VERSTEHEN WIR UNTER EMPATHIE? 

Die Fähigkeit sich einzufühlen ist auf den ersten Blick eine Selbstverständlichkeit und wird häufig mit empathischem Handeln gleichgesetzt. Den Begriff „Empathie“ verwenden wir schnell und glauben eigentlich auch zu wissen, wovon wir sprechen, wenn wir das Wort benutzen. Die Wissenschaft beißt sich jedoch seit ca. 100 Jahren die Zähne daran aus, diesen Begriff zu operationalisieren.

Vielleicht nehmen Sie sich mal eine Minute Zeit und fragen sich, wie Sie Empathie definieren würden. Was ist das eigentlich genau?  

Vielleicht fallen Ihnen schnell Begriffe wie Mitgefühl, Mitleid oder Einfühlungsvermögen ein.  

BEIM NACHDENKEN ÜBER DIESE MÖGLICHEN ASSOZIATIONEN SIND ZWEI ASPEKTE INTERESSANT: 

In der Regel verstehen wir unter Empathie etwas, was auf eine andere Person gerichtet ist. Das ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Die Grundlage von Empathie ist zunächst die Selbstwahrnehmung. Vor der Einfühlung in andere steht die Kompetenz der Selbsteinfühlung, der Offenheit gegenüber eigenen, auch unangenehmen Emotionen und Gedanken. Diese Fähigkeit ist deshalb wichtig, weil wir schnell eigenen Emotionen den Status von Objektivität verleihen und deshalb denken, andere müssten so fühlen wie wir. Das ist jedoch eine Täuschung. Forschungen an der Berliner Charité zeigen, dass emotional aktivierte Menschen weniger empathisch reagieren, sondern eher eine erhöhte Selbstaufmerksamkeit zeigen, mit der Gefahr, eigene Emotionen fälschlich auch von anderen zu erwarten.
 

Empathie wird ursprünglich und deshalb heute auch noch häufig, als ausschließlich emotionales Konstrukt verstanden. Daher fallen uns in der Regel Begriffe wie Einfühlung ein, wenn wir nach einer Definition suchen. In der Empathieforschung ging man jedoch dazu über, unter Empathie sowohl affektive, wie auch kognitive Aspekte zu verstehen. Der emotionale Teil der Empathie lässt uns in der Gegenwart von Trauernden ebenfalls traurig Bei dieser „Gefühlsansteckung“ ist es wesentlich, zu unterscheiden, ob es sich um eigene Emotionen handelt oder um die der anderen. 
Unter der kognitiven Komponente wird das intellektuelle Verstehen und Nachvollziehen- der Situation einer anderen Person verstanden. Wenn beispielsweise ein Freund seinen Job verliert, ermöglicht die kognitive Perspektivübernahme die Vermutung, dass er enttäuscht ist und Sorge hat, keine neue Anstellung zu finden. Die kognitive Sicht erlaubt also auch, Emotionen einer anderen Person zu erkennen, die jedoch nur rational-logisch erschlossen und nicht z. B. durch Einfühlung affektiv-emotional erlebt werden.  

Decken sich Ihre spontanen Gedanken zum Empathiebegriff mit den Ausführungen? Im Folgenden möchte ich noch genauer darauf eingehen, aus welchen Fertigkeiten Empathie besteht und wo wir Einfluss auf den Grad unserer Empathiefähigkeit haben.

WAS PASSIERT BEI EINER EMPHATISCHEN REAKTION? 

Empathie ist zunächst ein Persönlichkeitsmerkmal und stellt damit eine recht stabile Verhaltensdisposition dar, auf die bewusst kaum Einfluss möglich ist. Gleichzeitig sind jedoch die Fertigkeiten lernbar, die das individuelle Level der eigenen Empathiefähigkeit erhöhen können. Um genauer identifizieren zu können, welche Fertigkeiten erworben werden können hilft das von Altmann und Roth (2013) vorgestellte Empathie-Prozess-Modell. Es beschreibt vier Stufen, die wasserfallartig aufeinander aufbauen und im Folgenden erläutert werden. Auch wenn diese Phasen in der Realität sehr schnell aufeinander folgen, lohnt sich eine intensive Betrachtung der einzelnen Phasen:

1. Stufe: Wahrnehmung 

Der empathische Prozess beginnt mit der Wahrnehmung der anderen Person und ihrer emotionalen Situation. Die Qualität der Wahrnehmung kann zwischen „keiner Aufmerksamkeit“ und „komplexe Verarbeitung“ liegen. Abhängig von der Qualität dieser Wahrnehmung, gestaltet sich die Intensität der nächsten Prozessstufe.

Beispiel: Im gleichen Büro mit Ihnen sitzt ihr üblicherweise gut gelaunter Kollege. Er erhält einen Anruf und wirkt danach stiller.  

Was bemerken Sie?

  • Haben Sie eine grundsätzliche Einschätzung vom Kollegen?  
  • Bemerken Sie die Verhaltensänderung?  
  • Sind Sie selber so in Ihre Arbeit vertieft, dass sie den Kollegen nicht mitbekommen? 
    Tipp: Wenn es wichtig ist: Schärfen Sie Ihre Sinne. Achten sie nicht nur auf das, was gesagt wird, sondern auf die Körpersprache, die Stimme, die Mimik. Hören Sie auf Ihr „Bauchgefühl“.

2. Stufe: Interpretation 

Bei der zweiten Phase, werden die Situation, Gedanken und Gefühle der anderen Person interpretiert, gewichtet und kombiniert. Sie fertigen ein gedankliches Modell an, das sogenannte mentale Modell. Die eigene Biografie, Glaubenssätze und Werte spielen bei der Einordnung in diesem Prozessschritt eine große Rolle. Es ist von Bedeutung, wie reflektiert mit den eigenen Assoziationen umgegangen wird und, ob eine Offenheit für unterschiedliche Lebenswirklichkeiten mitgebracht wird oder die eigenen Erfahrungen auf andere übertragen werden.

Beispiel: Bemerken Sie die Veränderung des Kollegen und denken, dass er eine unangenehme private Nachricht bekommen hat? Sie kennen das. Ihre Angehörigen rufen auch immer mal im Büro an. Bleiben Sie bei dieser Interpretation oder denken Sie aktiv über Alternativen nach (eine Führungskraft hat angerufen, ein unangenehmer Kunde hat sich gemeldet, es hat nichts mit dem Anruf zu tun, …)

Tipp: Überlegen Sie sich Alternativen zu Ihrer ersten, spontanen Interpretation. Manchmal hilft es, sich vorzustellen, was ein guter Freund in der Situation gedacht hätte. Machen Sie sich vor allem bewusst, dass Ihre Deutung nicht richtig sein muss.

3. Stufe: Gefühl 

Interessanterweise kommt nun erst das Gefühl ins Spiel. Das empathische Fühlen lässt uns vergleichbare Emotionen in ähnlicher Intensität, wie sie die andere Person vermutlich erlebt, selber nachfühlen.

Vielleicht überrascht es Sie, dass die Emotionen die Folge eines Millisekunden dauernden Interpretationsprozesses sind. Subjektiv erleben wir Phase zwei und drei umgekehrt. Da die Emotionen präsenter sind, stufen wir sie in der Regel als unabänderlich ein und glauben, darauf eine stimmige Interpretation aufzubauen. Forschungsergebnisse zu der im Nervensystem messbaren Reihenfolge zeigen jedoch, dass die Emotion abhängig ist von der vorher von uns unbewusst getroffenen Interpretation. Ändern wir die Deutung, ändert sich auch die Emotion.

Beispiel:

  • Sie denken der Anruf war Privat. -> Sie empfinden z.B. ein Schuldgefühl, weil es ihnen selber so geht, wenn ihre Kinder anrufen. 
  • Sie denken, eine Führungskraft hat sich gemeldet. -> Sie empfinden möglicherweise Mitgefühl, weil sie wissen, wie unangenehm es ist, kritisiert zu werden. 
  • Sie interpretieren einen Kundenanruf. -> Sie empfinden Ärger, weil die Kunden oft unverschämt sind. 

Tipp: Da Sie wahrscheinlich erst in dem Moment, in dem Sie ein Gefühl wahrnehmen anfangen zu überlegen, können Sie hier prüfen, woher Ihre Emotion kommt und mit welchem Gedanken sie in Verbindung steht. Das Gefühl fordert Sie dazu auf, nochmal zu reflektieren, bevor Sie handeln.

4. Stufe: Handlung 

In der vierten Phase gibt es nun eine Antwort, also eine Reaktion auf die Situation und das Erleben der anderen Person. Entsprechend des vorgestellten Beispiels kann eine empathische Handlung aufgrund der von Ihnen getroffenen Interpretation und dem folgenden Gefühl sehr unterschiedlich ausfallen.  

Beispiel:

  • Bei der Interpretation „privater Anruf mit anschließendem Schuldgefühl“ würden Sie vielleicht nichts tun, um ihr eigenes unangenehmes Gefühl zu vermeiden. 
  • Bei der Variante „Führungskraft und Mitgefühl“ würden Sie vielleicht ihre Anteilnahme zum Ausdruck bringen.  
  • Bei der Vermutung „Kundenanruf mit Ärger“ würden Sie vielleicht sagen: „Echt blöd. Herr/Frau XY wusste wahrscheinlich mal wieder nicht wohin mit irgendeinem Ärger und wir bekommen es dann ab.“ 

EMPATHIE IST NICHT IMMER EINFACH 

Wie Sie sicher aus Ihrer eigenen Erfahrung kennen, gibt es Situationen, in denen wir wenig empathisch bzw. unangemessen reagieren. Das kann unterschiedliche Gründe und innere Motive haben. Zwei Varianten unglücklicher Reaktionsweisen möchte ich kurz erläutern.

Im Alltagsverständnis halten wir in der Regel Unterstützung und Hilfestellung im Sinne des Bedürftigen für empathisch. Allerdings kann auch das Nicht-Helfen empathisch sein. Würden Sie z.B. einem Kind die Schuhe binden, wenn sie wissen, dass es das alleine kann? Wahrscheinlich nicht. Sie würden vielleicht etwas Ermutigendes sagen und zur Selbsthilfe auffordern. Falls Sie dem Kind doch die Schuhe binden, weil Sie schnell auf Hilferufe reagieren, wäre das eher eine nicht adäquate Reaktion, die möglicherweise Ihrem eigenen Bedürfnis nach z.B. „gemocht werden“ dient.

Ebenso wenig hilfreich sind Sätze wie:

„Kopf hoch, das wird schon wieder.“

„Das ist mir auch schon so gegangen, da habe ich …. gemacht.“

„Das glaube ich nicht.“

Diese Reaktionen sind Bestandteil des sogenannten empathischen Kurzschlusses. Er zeichnet sich dadurch aus, dass er ein weiteres Öffnen des Gegenübers verhindert oder zu einem Gesprächsabbruch führt. In der Regel entsteht der Kurzschluss, wenn Hilflosigkeit im Umgang mit den vorgetragenen Emotionen ausgelöst wird. Analog zu einem elektrischen Kurzschluss ist die Energie danach gleich Null.

EMPATHIE IST LERNBAR! WAS KÖNNEN SIE TUN? 

Nehmen Sie die emotionale Situation des anderen zunächst an. Akzeptieren Sie die Gemütslage. Signalisieren Sie, dass Sie den anderen verstehen, indem sie zuhören, spiegeln, zusammenfassen und Gefühle benennen. Verstehen heißt dabei nicht, dass Sie zustimmen müssen. Wichtig ist: Sie sind nicht für eine Lösung verantwortlich!

Hilfreiche Orientierung für empathisches Führen bieten Konzepte wie das Aktive Zuhören, die Gewaltfreie Kommunikation oder Achtsamkeitstechniken.

Auch wenn hierarchische Strukturen und sachlich/technisches Denken das souveräne Navigieren in sozialen Systemen behindern, möchten wir Sie ermutigen, Empathie in ihren dargestellten Facetten als Steuerrad in einem erfolgreichen Führungsalltag zu nutzen.

 

LITERATUR: 

Altmann, T. (2015), Empathie in sozialen und Pflegeberufen, Psychologie in Bildung und Erziehung: Vom Wissen zum Handeln, Wiesbaden: Springer Fachmedien.  

Altmann, T., & Roth, M. (2013). The evolution of empathy: From single components to process models. In C. Mohiyeddini, M. Eysenck, & S. Bauer (Hrsg.), Psychology of emotions (S. 171–188). New York: Nova Science Publishers.

 

Text: Monika Eckern